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Seit 2002 macht sich die Plattform für zeitgenössische Kunst tranzit für die Vernetzung von Kunst und Kultur zwischen Ost und West stark. Aber wer sind die Menschen hinter tranzit? Ein Porträt des Kunstvermittlers Vít Havránek. Von Antje Mayer.

„Den Boden behutsam umgraben“

Für Vít Havránek (Jahrgang 1971) war die Wende 1989 das wichtigste Ereignis in seinem Leben. Ab diesem Zeitpunkt hat sich alles für ihn geändert. „Die tschechische Kunstszene war bis zum Fall des Eisernen Vorhangs völlig isoliert. Die Künstler konnten nur im Untergrund agieren, abgeschnitten vom politischen und sozialen Leben. Ich würde fast behaupten, unsere Kunstschaffenden befanden sich dadurch in einer Art psychologischer Pose des Dauerstresses. Ein schizophrener Zustand der Existenz. Dann der Umbruch. Auf einmal konnte man sich frei bewegen und seine Meinung frei äußern. Das ist für mich, der in beiden Systemen gelebt hat, bis zu meinem 18. Lebensjahr im alten, dann im neuen, immer noch eine bewegende Erinnerung.“
Havránek ist seit 2002 Leiter von tranzit.cz, das die Kuratorinnen Mária Hlavajová und Kathrin Rhomberg im September 2002 mit Boris Marte von der Erste Bank ins Leben riefen. Nach seinem Studium der Kunstgeschichte an der Karlsuniversität Prag hatte er Mitte der Neunziger für das Soros Center for Contemporary Art gearbeitet. Dann folgte eine kurze Zwischenstation in der Nationalgalerie. Schließlich landete er als Kurator in der renommierten Stadtgalerie von Prag, Abteilung Malerei. Heute konzipiert Havránek als freier Kurator verschiedenste Ausstellungen (zuletzt die Soloausstellung „Julius Koller“ zusammen mit Heike Ander im Kunstraum München, 2004).

Die Kunst verändert sich langsam

„Ich zähle mich zu der ‚neuen Generation’ von jungen Kunstvermittlern in Tschechien, die sich theoretisch mit zeitgenössischer Kunst auseinander setzt und sehr viel interdisziplinärer denkt als ihre Lehrer“, so Havránek. „Mich interessieren Fragen der Ästhetik, konzeptuelle Kunst, eine stark reflexive Annäherung an das Werk. Wie wird Kunst rezipiert? Wie rezipiert Kunst die mediale Umwelt oder welche Produktionsprozesse stehen hinter dem Werk? Das sind nur ein paar Beispiele dafür, welche Art von Fragen mich als Kurator beschäftigen.“
Für Vít Havráneks Professoren an der Karlsuniversität sind solche Methoden, aktuelle Kunsttheorie, überhaupt zeitgenössische Kunst kein Thema gewesen. Dafür habe man durchaus eine sehr gute und fundierte Ausbildung in Kunstgeschichte erhalten, die sich noch an der Wiener Schule dieser Disziplin um 1900 orientierte. Diese Art des Unterrichts hätte sich, so der Kurator, nach 1989 gar nicht so sehr geändert: „Viele meiner Lehrer waren keine Kommunisten und unterrichten deswegen bis heute.“
Auch in der Kunstproduktion verändere sich vieles langsamer als manch einer im „Westen“ annehmen würde: „Vom Sozialismus her sind die Künstler noch gewohnt, unabhängig, außerhalb jedwedes Gesellschaftlichem, mit einem sehr persönlichen Fokus Kunst zu machen. Was wir unter anderem mit tranzit vorsichtig versuchen, ist, zeitgenössische Kunst in einen sozialen Kontext einzubinden, sie in die Gesellschaft zu integrieren. Dabei muss man jedoch überlegt agieren. Wenn man die Künstler überfordert, ihnen einfach ein Thema vorsetzt, fangen sie an, wie in guten alten Zeiten, politisch zu illustrieren“, lacht Havránek. „Die Wurzeln wachsen noch tief im Boden. Den müssen wir erst einmal behutsam umgraben.“
Bei sich selbst den Spaten angesetzt hat der Kurator übrigens schon vor vier Jahren, als er die Gruppe PAS zusammen mit den Künstlern Thomas Vanek und Jiøí Skála gründete. „Wir verstehen uns als eine lose Produktionsgruppe. Spaß ist dabei ein ganz wichtiger Faktor. Viel beachtet wurde etwa unsere Arbeit ‚Display Cases’: Im Sozialismus existierten diese typischen Vitrinen mit politischer Propaganda. Wir haben sie wieder im öffentlichen Raum aufgestellt, dann aber Künstler gebeten, sie selbst zu gestalten.“
Zwischen den Rollen des Kurators und des Künstlers hin und her zu wechseln oder sich „irgendwo dazwischen“ zu bewegen, hat Vít Havránek übrigens mit Boris Ondøeicka gemeinsam. Der ist sein Partner von tranzit.sk in der Slowakei und ist als Künstler, Musiker und Kurator aktiv. „Boris und ich kommunizieren viel. Dadurch wurde mir klar, wie unterschiedlich in Tschechien und der Slowakei momentan Kunst gemacht wird. Das ist richtig aufregend“, freut sich Havránek. „Tschechische Künstler arbeiten meiner Erfahrung nach sehr konzeptionell, fast schon ‚sophisticated’ und orientieren sich stark an der eigenen Geschichte. In der Slowakei hingegen wird direkter an die Sache herangegangen: viel radikaler, unmittelbarer, mehr aus dem Bauch heraus. Das mag vielleicht daran liegen, dass dieses Land stark von der Landwirtschaft geprägt wurde und wird. Ich muss gestehen, in letzter Zeit liebäugle ich fast mehr mit der ‚slowakischen Sinnlichkeit’.“



Biographie:

Vít Havránek, Mgr.
1971, lives and works in Prague

VÍT HAVRÁNEK is an art historian and curator. Since 1998 he has been working as a curator for the Municipal Gallery, Prague, CZ. In 2000 he founded the group PAS - Production of Activities of the Contemporary. He lectures on Contemporary Art at the Academy of Applied Arts, Prague. He has curated and organized numerous exhibitions, amongst which are: "Action, Word, Movement, Space" (Prague, 1999), "Glued Intimacy" (Prague 2000), Otto Piene "The Zero Experience" (Prague 2002). He has had numerous publications on contemporary art in catalogues, has edited books (most notably - "Action, Word, Movement, Space", 1999) and has written for contemporary art magazines (Umìlec, Detail, Textes Sur L'art, Art Press), and for the daily press. He has been active on various juries, such as for the Ministry of Culture, the Foundation for Contemporary Art and the Jindøich Chalupecký Prize.
He is a project leader of art-initiative tranzit.cz based in Prague.

erschienen im "Kontakt - Magazin", Erste Bank, issue1
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